Pressemitteilung
Protest gegen Trans*feindlichkeit mündet in Strafanzeige
Eine Gruppe Studierender protestierte zur ersten Sitzung des Seminar “Historisch-genetische Theorie der Geschlechterbeziehung: Subjekt - Identität - Liebe” vom Institut für Philosophie der Universität Leipzig gegen Trans*feindlichkeit. Der Einleitungstext und die Grundlagenliteratur bediene trans*feindliche Narrative. Unter Bezug zum Beschluss „Gegen jede Queerfeindlichkeit“ vom Plenum des Student*innenRates (StuRa) im Januar 2020 und dessen Bestärkung im Plenum des StuRa zum 25.10.2022 solidarisiert sich das Referat für Gleichstellung und Lebensweisenpolitik (RGL) mit den Aktivist*innen und dem Fachschaftsrat Philosophie, Ethik und Logik und verurteilt die unkritische Einbindung trans*feindlicher Lektüre und verschwörungserzählerischer Inhalte in Lehrveranstaltungen. Das RGL verurteilt die Reaktion des Dozenten, eine Strafanzeige gegen die Protestierenden zu erstatten, scharf.
Der Dozent des Seminars Dr. Javier Y. Álvarez-Vázquez nutzt in der Seminarbeschreibung den Begriff der “Machbarkeitsfaszination”, wodurch der Eindruck entsteht, Trans*identität sei eine neuartige Modeerscheinung. Der Begriff erinnert deutlich an einen Begriff des Philosophen Christoph Türcke, welcher mit seinen Thesen in “Natur und Gender - Kritik eines Machbarkeitswahns” bereits durch explizite Trans*feindlichkeit aufgefallen ist. Neben der biologistischen [1] Seminarbeschreibung, die von “anthropologischen Grundlagen der Geschlechterverhältnisse […]” spricht, die trotz einer “geschlechtlichen Machbarkeitsfaszination der Medizin sowie der Pharmaindustrie […]” existieren würde, zählt also auch Türckes Buch zur Grundlagenliteratur des Seminars. Es enthält neben trans*feindlichen Thesen auch Aussagen, die ableistischen und antisemitischen Argumentationslogiken Anschluss bieten. Von Angehörigen und Mitgliedern der Universität sei zu erwarten, dass umstrittene Literatur mit diskriminierenden Inhalten kritisch eingeordnet wird. Fachliteratur, die C. Türckes Thesen kritisch beleuchten oder Perspektiven von Betroffenen enthalten, fehlen in der Literaturliste gänzlich, wären für eine kritische und wissenschaftliche Auseinandersetzung aber dringend nötig. Ob Dr. Álvarez-Vázquez eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema anstrebt, ist also fraglich.
An der Universität soll, darf und muss Protest ein legitimes Mittel sein, um auf diskriminierende Inhalte hinzuweisen und diesen etwas entgegenzusetzen. Sie ist ein Ort an dem Diskurse stattfinden, die durchaus politisch sind. Die Annahme, “dass Trans*Personen ihre Existenz in einer freundlichen Atmosphäre diskutieren müssten, verkennt hierarchische Strukturen, die zwischen Minoritäten und Masse, sowie zwischen Studierenden und Dozierenden bestehen”, so Hanna König, Referentin für Gleichstellung und Lebensweisenpolitik im StuRa. Gewaltvolle Handlungen seien laut Bericht der Aktivist*innen nicht ausgegangen, dahingegen habe sich jedoch der Unwille des Dozenten gezeigt, den Aktivist*innen zuzuhören und deren Standpunkt verlauten zu lassen. Die Freiheit der Wissenschaft und Lehre ist ein Grundrecht und dennoch ist Wissenschaftsfreiheit “kein ontologischer, sondern ein politischer Begriff: Seine (Be-)Deutung ist das Resultat eines ständigen Diskurses und von Aushandlungsprozessen mit immer neuen Protagonist:innen und neuen Ergebnissen”, so Jiré Emine Gözen. [2] Dass Dr. Alvarez-Vazquez Strafanzeige erstattete, erweckt den Eindruck die betreffenden Personen zum Schweigen bringen zu wollen. Zudem erschwere die Anzeige den offenen Dialog am Institut. Dennoch finden institutsinterne Gespräche statt, bei denen auch zentrale sowie dezentrale Gleichstellungsbeauftragte beteiligt sind. Trotzdem werde der Diskriminierungsfall nicht als solcher anerkannt. Die Universität hält sich in bisherigen Pressemitteilungen bedeckt, aber kritisiert die betroffenen Studierenden, vor dem Hinzuziehen der Presse nicht mit Dr. Álvarez-Vázquez gesprochen zu haben. Im Angesicht der Tatsache, dass ein Gespräch von Studierenden mit dem Dozierenden ein deutliches Machtgefälle darstellt, ist diese Kritik unbedacht. Dass einzelne trans* idente Betroffene in solch einem Gespräch potenziell ihre Existenz rechtfertigen müssten, bedenkt die Universität hier ebenfalls nicht.
Das RGL fordert die Fakultät dazu auf, die vorhandene Diskriminierung anzuerkennen. Dr. Álvarez-Vázquez und das Institut für Philosophie sind zudem dazu angehalten, die vorgebrachte Kritik anzunehmen, das Seminar entsprechend den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen neu zu konzipieren und die Literaturliste zu aktualisieren. Zentrale sowie dezentrale Gleichstellungsbeauftragte der Universität sind adressiert, umfangreiche Schulungen zu implementieren und zu fördern. Das Bewusstsein für Queerfeindlichkeit, Antisemitismus, Ableismus und Rassismus muss gestärkt werden, damit gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit an unserer Universität keinen Raum erhält. Ein diskriminierungsfreies Miteinander ist essenziell, damit Mitglieder und Angehörige der Universität Leipzig ihr volles Potenzial in Forschung, Lehre und Studium ausschöpfen können.
Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an die Referentin für Gleichstellung und Lebensweisenpolitik, Hanna König, unter rgl@stura.uni-leipzig.de.